Oliver Bendel

Auszüge aus Texten von Prof. Dr. Oliver Bendel

"Grundsätzlich bildet jede Wissenschaft ihre eigenen Begriffe aus. Manche lauten in mehreren Disziplinen gleich. Das heißt selbstredend nicht, dass sie auch gleichbedeutend sind. In der Philosophie ist 'Autonomie' etwas anderes als in der Ingenieurwissenschaft. Es ergibt keinen Sinn, wenn der Philosoph der Ingenieurwissenschaft vorwirft, ihren Begriff nicht in seinem Sinne zu verwenden. Denn es ist eben nicht sein Begriff, es ist ihrer. Selbst Menschenethik und Maschinenethik verstehen die Autonomie auf unterschiedliche Weise. In der Umgangssprache entstehen häufig Metaphern, zusammen mit dem Neuen, für das wir noch keine festgefügten und anerkannten Begriffe haben. Unsere Ahnen nannten den Briefkopf so, obwohl der Brief gar keinen Kopf hatte, keinen wie ein Mensch oder ein Tier. Diese Metapher war ein bisschen schräg, aber nicht so schräg, dass man sie nicht verstehen konnte. Im Gegenteil, sie trug zum Verständnis bei. Die 'maschinelle Moral' ist eine Metapher, und in der Fachsprache, in der sie auftaucht, ist sie eben ein Terminus technicus." (Aus: Bendel, Oliver. Die Maschinenethik als neues interdisziplinäres Forschungsfeld. In: Liggieri, Kevin; Müller, Oliver. Mensch-Maschine-Interaktion: Handbuch zur Geschichte – Kultur – Ethik. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2019.)

"Pflegeroboter stellen keinen Standard da, nirgendwo auf der Welt. Es gibt dutzende Prototypen und mehrere Produkte, die im Testbetrieb eingesetzt werden. Zudem holt man in die Pflegeheime und Betreuungseinrichtungen solche Serviceroboter, die für andere Bereiche gedacht sind, sich jedoch auch hier eignen, wie Pepper und Nao. Und man integriert Kooperations- und Kollaborationsroboter in mobile Plattformen und lehrt sie neue Aufgaben. Lio ist hierfür ein Beispiel, ein Allroundtalent aus der Schweiz, das je nach Endstück greifen oder massieren kann. Und P-Care aus dem gleichen Hause, der die Besonderheit hat, mit zwei Armen ausgestattet zu sein. Der Begriff des Pflegeroboters wird immer wieder kritisiert. Dabei verspricht er nicht mehr als ähnliche Komposita. Ein Industrieroboter ist ein Roboter in der Industrie. Er übernimmt nicht alle Aufgaben in der Produktion oder in der Logistik. Ein Kampfroboter ist ein Roboter für Kampf oder Krieg. Er macht den Soldaten nicht überflüssig. Ein Serviceroboter ist ein Roboter, der einen Service anbietet. Einen ganz bestimmten Service. Ein Pflegeroboter ist ein Serviceroboter, der in der Alten- und Krankenpflege eingesetzt wird, oder als Hilfe bei der Betreuung. Er kann weder sämtliche Obliegenheiten der Pflegekraft wahrnehmen noch in allen Bereichen der Pflege auftrumpfen. Dies drückt der Name auch nicht aus. Wer ihn dennoch ablehnt, dem oder der sei mit 'Roboter in der Pflege' oder 'Robotische Assistenzsysteme im Pflegebereich' geholfen." (Aus: Bendel, Oliver. Pflegeroboter aus ethischer Sicht. In: Blätter der Wohlfahrtspflege, 1/2019, S. 24 – 27.

"Die goldenen Jungfrauen hatten die Aufgabe, ihren Schöpfer Hephaistos, den hinkenden Gott der Schmiede und des Feuers, zu stützen. Was sie darüber hinaus für ihn oder mit ihm taten, ist unbekannt. Die Skulptur, die Pygmalion geschaffen hat, war Aphrodite nachgebildet, der seine Sehnsucht galt und die sie aus Mitleid zum Leben erweckte; mit Galatea, wie sie genannt wurde, hatte der legendäre zypriotische Bildhauer zwei Kinder, was beweist, dass es zum Vollzug mit der künstlichen Frau gekommen war. Dutzende künstliche Kreaturen, die erotisch oder sexuell gedeutet werden können, tauchen in der Ideen- und Entwicklungsgeschichte auf. Natürlich sind auch Science-Fiction-Bücher und -Filme voll davon, und während es vordem eine große Vielfalt in Herkunft, Material und Gestaltung gab, dominieren in ihnen humanoide Hardware- und Softwareroboter. Mit diesen Plots waren noch keine Sexroboter geboren, aber fiktionale Roboter, mit denen die Figuren Sex haben konnten." (Aus: Bendel, Oliver. Sexroboter und Robotersex aus Sicht der Ethik. In: Otto, Philipp; Gräf, Eike (Hrsg.). 3TH1CS: Die Ethik der digitalen Zeit. iRIGHTS media, Berlin 2017. S. 30 – 42.)

"Ich stellte mir vor, wie eine Frau ihr Hotelzimmer verlässt. Gerade noch saß sie an einem wuchtigen Tisch, einer Print-Phantasie des Hoteliers. Auf einem bequemen Stuhl, der nicht aus einem Stück gefertigt, sondern aus mehreren ausgedruckten Teilen zusammengebaut ist. Sie trägt ein Kleid aus engen Maschen. Darunter ist ihr gepunkteter Bikini zu sehen, den sie am Morgen der Print-and-Go-Station in der Lobby entnommen hat. Er war noch ganz warm, wie ein Brot aus einem schweizerischen Supermarkt. Die Datei stammte von einem Shop im Internet, der auch fertige Kleidung anbietet. Die Sonnenbrille, deren Gläser sie sich hat zuschneiden lassen, steckt in ihrem Haar. Der Kunststoff hat ein Vermögen gekostet – dafür ist er hautfreundlich und wetterbeständig. Am Strand angekommen, streift sie das Kleid ab und die High Heels, die ihr wie angegossen passen. Kein Wunder, hat sie doch zu Hause ihre Füße eingescannt und die Schuhe am Computer selbst entworfen. Sie verstaut die Sachen in ihrer Badetasche der Marke Printbag, geht zum Meer vor und schlüpft in die Schwimmflossen, die neckische Streifen tragen. Eine frühe Arbeit von ihr, aus dem Jahre 2013, als sie alles alleine gemacht hat, nichts in der Crowd. Sie zieht die Sonnenbrille ab und wirft sie in die Tasche, zieht die Tauchermaske an und beißt in das Mundstück des Schnorchels, das nach Erdbeere schmeckt. Keine Chemie, pure Natur. Sie lässt sich ins Wasser gleiten und genießt eine Unterwasserwelt, in der nichts künstlich ist, nichts ausgedruckt. Ein Schwarm ist an ihrer Seite, mit hunderten gestreiften Fischen, die ihren Kopf nach ihr drehen. Plötzlich erblickt sie ein Korallenriff, das gestern noch nicht da war. Es ist noch kahl und fügt sich doch schon ein. Sie nähert sich ihm ..." (Aus: Bendel, Oliver. Druck dir die Welt, wie sie dir gefällt! In: zfo, 05/2013. S. 340 – 341.)

"Der Rausch der Anonymität hat weite Bereiche unserer realen Gesellschaft erfasst. Es sind eben nicht nur die entfesselten Benutzer selbst, die neues, unbekanntes Terrain erobern. Es sind nicht nur die Medien, die sich etwas von der Eroberung erhoffen, wenn nicht eine neue Heimat, dann doch ein bisschen Gold, geschürft von den fleißig klickenden Lesern. Es sind nicht nur die Eltern, die fassungslos vor neuen Verhaltensmöglichkeiten und -weisen stehen, die sie nicht ansatzweise einordnen können, und die lautesten Meinungen mitbrüllen. Sondern es sind auch die Wissenschaftler und Experten, die sich den neuen Fragen aufgeklärt nähern und sie auf einer rationalen Grundlage beantworten sollten. Während sie das eine betrachten, das Medium und seine Benutzer, gerät ihnen das andere aus dem Blick, die Bedeutung der Namen für unsere Gesellschaft. Sie erkennen bestenfalls die Gefahr und springen aus dem Fenster, oder vielmehr, sie lassen aus dem Fenster springen. Eine Jugend ohne Namen wird eine nicht erstrebenswerte sein. Ein wirklicher Experte sollte zunächst einmal jedes Wort auf die Goldwaage legen. Er sollte Empfehlungen aussprechen und die Einwände dagegen ernst nehmen, auch die Einwände der Zeit. Er sollte theoretisch scharf argumentieren und pragmatisch verfahren können. Denn es sind wirklich andere Zeiten angebrochen, und es ist schwierig, zeit- und menschengemäß zu reagieren." (Aus: Bendel, Oliver. Jugend ohne Namen: Zur Anerziehung der Anonymität im Netz. In: Computer + Unterricht, 2 (2010). S. 54 - 55.)

"Es haben sich ein paar Literaturblogs herausgebildet, bei denen Anführungszeichen unnötig sind, hervorragend umgesetzte, bis ins Detail durchdachte Angebote von Experten oder Laien, die keine Laien mehr sind. Demgegenüber steht eine enorme Anzahl von Blogs, die anstelle der Bücher das Seelenleben der Blogger behandeln. Es spielt weniger eine Rolle, wie das Buch ist, wie es sprachlich, inhaltlich, historisch und kulturell einzuordnen wäre, sondern mehr, wie es auf den Rezensenten wirkt, wie er sich fühlt beim Lesen und davor und danach. Das Gefühl drängt sich in den Vordergrund und wird häufig in einem euphorischen oder vernichtenden Urteil ausgedrückt; der interessierte Leser läuft ins Leere, da er bei einem Urteil eine Begründung erwartet und diese nicht erhält. Er kann sich nicht informieren und sich nicht aufklären lassen, er kann keine eigene Meinung und kein Auge für die Ästhetik der Texte entwickeln. Trotzdem hinterlassen die Liebesschwüre und Hasstiraden deutliche Spuren: Was im Web liegenbleibt, tritt sich fest. Wenn sich solche Blogs gegen ihre Tendenz an Analysen versuchen, scheitern sie meistens, denn es fehlt ihnen die Fachsprache, die wie die natürliche Sprache über Jahre erlernt werden muss. Und die natürliche Sprache ist selten das, was sie in diesem Kontext sein könnte und sollte." (Aus: Bendel, Oliver. User-generated Nonsense: Literaturbesprechungen von Laien im Web 2.0. In: telepolis, 10. Mai 2009. Über http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30206/1.html. )

"Ich erinnerte mich daran, dass ich den virtuellen Thesaurus nicht allein für die Überarbeitung von Texten, sondern ebenso in der Hochschullehre eingesetzt hatte. Ich dozierte im technischen Bereich und in der Literatur- und Sprachwissenschaft. Dem erstaunten studentischen Publikum führte ich vor, welche Synonyme Microsoft für 'Mädchen' kannte: 'Fräulein, Besen, Kind, Bluse, Biene …'. Spätestens an dieser Stelle begannen alle zu lachen. Ich bildete angeberische Beispielsätze wie 'Die Mädchen fielen über mich her.' Mit Bienen ergab sich ein völlig anderes Bild, in dem ich einen eher jämmerlichen Anblick bot. Ein Synonymwörterbuch muss möglichst viele Wörter für einen Austausch anbieten. Schon beim 'Mädchen' war mir aber aufgefallen, dass die Programmierer des Thesaurus bis in die äußersten Randbereiche der Sprache vorgedrungen waren. 'Fratz', hieß es da weiter, 'Jungfrau, Ricke, Käfer'. Käfer? Nun ja, warum nicht, wenn bereits die Bienen summten. Und weiter: 'Maid, Pflänzchen'. Ich hatte gehört, dass in Sachsen die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen, aber dass sie selbst die Bäume oder vielmehr die Sprösslinge waren, hatte sich mir verborgen. Obwohl, die 'Sprösslinge' passten ja soweit … Und schließlich: 'Püppchen, Bub'. Ach nein, 'Bub' war bereits ein Antonym. 'Der Bub spielte mit dem Püppchen.' Bis dieses ihm eine Ohrfeige verpasste." (Aus: Bendel, Oliver. Im Rachen des Thesaurus: Beobachtungen zum Synonymwörterbuch von Microsoft. In: telepolis, 5. April 2008, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27546/1.html.)

"Wenn ich die Liste meiner Freunde aufgerufen habe, alles Frauen, also eigentlich Freundinnen, aus dem einfachen Grund, weil an der Hochschule, an der ich arbeite, fast nur Frauen studieren und studiert haben, kann ich sie 'gruscheln'. 'Gruscheln', inzwischen zur Wortmarke erklärt, bedeutet vermutlich grüßen und dabei kuscheln. Die Tätigkeit erinnert mich an den unseligen Brauch aus den 80er-Jahren, der vor allem bei Ökos und Alternativen, vielleicht sogar bei manchen Poppern, sehr verbreitet war. Man deutete eine Umarmung an (Grüßen) und rieb sich den Rücken (Kuscheln). Sehr ekelhaft, zumindest nicht so herzlich und vornehm wie Händeschütteln, Wangenküssen und Nasenreiben. Wenn man gegruschelt hat, kann der andere zurückgruscheln. Dann muss man erst die Gruschel-Meldung ausblenden, bevor man wieder gegruschelt werden kann." (Aus: Bendel, Oliver. Aus Grüßen und Kuscheln wird Gruscheln: Eine sprachliche Entdeckungsreise im Studiverzeichnis. In: mediensprache.net. Februar 2007. Über http://www.mediensprache.net.)

"Zur Zeit bereitet man die Avatare auf eine neue Umgebung vor. Sie sollen nicht nur in PCs und Notebooks agieren, sondern auch in Handys. Man bekommt sie mitgeliefert bzw. lädt sie herunter oder erstellt sie selbst und verschickt sie von Gerät zu Gerät. Damit ergeben sich interessante Implikationen. Zum einen ist eine massenhafte Herstellung wahrscheinlich, sowohl als 'Konfektionsware' (Avatare für die Massen) als auch in individueller Form (Massen machen Avatare). Zum anderen werden die Avatare mobil und so zu Begleitern in allen möglichen Situationen." (Aus: Bendel, Oliver, Michael Gerhard. Handy-Avatare - Möglichkeiten der mobilen Kommunikationsunterstützung. In: InfoWeek.ch (2004) 12. S. 51 - 55.)

"Mobile Learning (M-Learning) ist eine besondere Form des E-Learning. Obwohl das 'E' in dem Begriff 'M-Learning' gar nicht auftaucht, meint dieser keineswegs traditionelle Formen des 'mobilen Lernens' wie das Lernen aus Büchern unterwegs. Das 'E' ist einem neuen Buchstaben gewichen, der genauso marketingtauglich zu sein scheint oder - bis die anfängliche Neugierde abgeklungen ist - sogar noch mehr das Interesse von Unternehmen und Kunden zu wecken vermag, und durch die Ersetzung ist es eigentlich fast nur noch deutlicher, nämlich selbstverständlicher geworden: M-Learning ist natürlich E-Learning, eben solches mobiler Art." (Aus: Back, Andrea, Oliver Bendel, Daniel Stoller-Schai. E-Learning im Unternehmen: Grundlagen - Strategien - Methoden - Technologien. Orell Füssli, Zürich 2001.)

"Der Begriff 'Avatar' stammt aus dem Sanskrit und bezeichnet dort die Gestalt, in der sich ein (hinduistischer) Gott auf der Erde bewegt. Im Computerbereich hat sich der Begriff durchgesetzt für grafisch, teils dreidimensional realisierte virtuelle Repräsentationen von realen Personen oder Figuren. ..." (Aus: Bendel, Oliver. Avatar. In: Mertens, Peter, Andrea Back, Jörg Becker et al. (Hrsg.). Lexikon der Wirtschaftsinformatik. 4., vollst. neu bearbeit. u. erweit. Aufl. Springer, Berlin u.a. 2001. S. 60.)s

"Das junge Wort 'E-Learning' gehört der Familie der 'E-Begriffe' (engl. 'e-terms') an. Ein wesentlicher Vorzug des Begriffs ist seine Offenheit. E-Learning kann begriffen werden als Lernen, das mit Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützt bzw. ermöglicht wird. Wichtig ist hierbei, dass diese Technologien mit dem Lernprozess selbst unmittelbar verbunden sind und nicht nur rudimentäre Hilfsmittel darstellen." (Aus: Bendel, Oliver. E-Learning (veröffentlicht am 1. September 2000). In: Netlexikon von akademie.de. Über http://netlexikon.akademie.de... (Adresse nicht mehr gültig). Berlin 2000.)


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